von Friedeon Rosén
Foto: (c) Theater & Orchester Heidelberg
Der ‚Winter in Schwetzingen‘ des Theater Heidelberg wird dies Jahr mit der Oper La verità in cimento (etwa: Die Wahrheit auf dem Prüfstein) von A.Vivaldi, einer seiner ca. 35 weitgehend unbekannten Opern eröffnet, die er für die damals entstandenen Theater in Venedig komponiert hat. Bei dem Dramma per musica handelt es sich es sich nicht um einen klassisch antiken/mythischen Stoff, sondern es ist eine quasi bürgerliche Familiengeschichte, die eigentlich in einem damaligen Sultanat spielt. In der Fassung der Regisseurin Yona Kim, dieser ‚Schwetzinger Fassung‘, spielt es nun zur Gänze in der heutigen Zeit. Denn eigentlich kann ein Oberhaupt der Familie, und damit für Kim das gesamte Patriarchat, nur heute so geschwächt werden.
Der reiche Unternehmer Mamud hat mit seiner Frau und mit einer Dienerin Söhne gezeugt und diese nach der Geburt vertauscht. Nun will er Melindo,den Sohn der Dienerin, enterben. Diese setzt alles zur Aufrechterhaltung der alten Lüge in Bewegung. Melindo will die schöne Rosane heiraten, die vorher mit dem anderen Sohn Zelim liiert war, aber jetzt mit Melindo Großerbin zu werden hofft. Weil Mamud aber aus schlechtem Gewissen Zelim einsetzen will, trennt sie sich von Melindo, obwohl sie ihn liebt. Dieser ist verzweifelt, aber Zelim freundet sich mit der neuen Situation an. Erst als Mamud droht, Melindo zu töten, unterschreibt die Dienerin einen Vertrag, der den Weg für Zelim und Roasane freimachen soll. Rosane macht aber einen Rückzieher, als sich auch Melindo äußerst aggressiv den neuen Paar gegenüber verhält, und bittet Zelim, sie freizugeben. Was dieser auch tut und sich bereit erklärt, das Erbe mit dem Stiefbruder aufzuteilen. Dadurch wird eine Katastrophe verhindert, der Konflikt Mamuds mit seinen Frauen, die ihn ausbooten wollen, bleibt aber offen.
Yona Kim gelingt es, dies als bürgerliche Tragödie, auch mit psychologisch teils deftigen Mitteln umzusetzen. Dabei kommt ihr die Musik Vivaldis entgegen, wobei es sie auch zusammen mit dem Dirigenten- und Dramaturgenteam immer die ‚richtige‘ Arie ausgewählt hat, denn davon gibt es in der Originalpartitur bis zu drei Alternativen pro Arie. In einem Wohn-und Schlafzimmer mit gelbbraunem Flair,das immer wieder durch wehende Vorhänge abgeteilt wird (Bühne: Jan Freese) treten zudem noch vier mitspielende stumme Zofen auf, die auf Befehl des Hausherrn die Frauen auch körperlich in Schach halten.
Die Kostüme, bei den Damen schicke (Woll)kostüme, dann wieder dessousbetont, und die Söhne teils auch in kniekurzen Anzugshosen, stammen von Falk Bauer.
Davide Perniceni brennt mit den reduzierten und historisch informiert spielenden Phiharmonikern ein musikalisches Feuerwerk ab. Solistisch kommen u.a. starke Barocktrompeten und eine virtuose Piccolo-Blockflöte zum Einsatz.
Mamud ist Francisco Fernandez-Rueda mit stark ‚gewürztem‘, fast dramatischem Höhenbariton. Seine Gattin Rustena ist Shahar Lavi, die mit ihrem hübschen Sopran ein wenig im Hintergrund verbleibt. Ihren Sohn Zelim gestaltet Philipp Mathmann mit großem und wohlklingenden Countertenor, den er aus dem Pianissimo in seine volle Größe schwellen lassen kann. Damira ist Franziska Gottwald mit herbem Mezzo, mit dem sie starke Azente setzen kann. Ihren Sohn Melindo singt David DQ Lee mit seinem bemerkenswerten Counter, der zuweilen auch effektvoll fahl herüberkommt.
Am tollsten trumpft aber, besonders in einigen ‚Wahnsinnsarien‘, Francesca Lombardi-Mazzulli als Rosane auf. Sie verfügt über einen enormen Stimmumfang und erstaunliche Stimmkraft bei immer prägnantem Spiel. Mit glasklaren, dabei runden und einnehmendem Soprantimbre meißelt sie in manchmal irrwitzigen Tempi Koloraturphrasen in gezackten Vivaldi-Rhythmen.