Bloß nicht so werden wie Schwiegerpapa!

Posted on December 3, 2018

VON CHRISTIANE WIESENFELDT.

Die Idioten in dem Stück sind eindeutig die Männer. Nein, keine weltfremden Gutmenschen wie in Fjodor Dostojewskis Roman, sondern echte Jammerlappen. Vater Mamud ist in der Midlife-Crisis und kann es nun plötzlich nicht mehr ertragen, dass er als knackiger Jungspund gleichzeitig seine Frau Rustena und seine Haushälterin Damira schwängerte und dann die beiden Neugeborenen heimlich tauschte, um den Sohn der Haushälterin zu seinem Erben zu machen. Er outet sich, und die ohnehin ziemlich labilen Söhnchen brechen in ihren derangierten Schuluniformen zusammen und heulen, klagen und jammern, was das Zeug hält.

Keiner hat sie mehr lieb. Selbst die versuchte Vergewaltigung der jungen Rosane, die zuerst den falschen, dann den echten Erben heiraten soll und dann wieder andersherum, gerät zu einer halbherzigen Wischiwaschi-Rangelei. Und spätestens wenn der selbstsüchtige Hausherr im zweiten Akt in einem albernen mintgrünen Hausmantel herumstolziert, während sich die zwei Mütter genervt-lasziv in seidiger Unterwäsche räkeln und ihre Pistolen schwingen, ist klar, wer da eigentlich die Hosen anhat.

Diese Mädchen schubsen zurück

„La Verità in Cimento“ („Die Wahrheit auf dem Prüfstand“), die im Rokokotheater Schwetzingen Premiere feierte, ist waschechte Frauenversteher-Musik. Während Georg Friedrich Händels italienische Opern der siebzehnhundertzwanziger Jahre musikalisch gern Männern huldigen und seine Frauen eher Beilagen der Rahmenhandlung sind, bekommen Vivaldis Frauenfiguren in der 1720 uraufgeführten venezianischen Oper die musikalischen Hauptspeisen aufgetischt. Sie lieben und reflektieren im Krebsgang, sie wünschen dem doppelzüngigen Hausherrn Mamud (Francisco Fernández-Rueda) lustvoll den Tod, sie schwelgen, leiden, saufen, verführen und manipulieren in allen tonalen Stellungen. Ein Höhepunkt ist erreicht, wenn beide Mütter, Shahar Lavi und Franziska Gottwald, im Duett über alle Blutsgrenzen hinweg „Du bist mein Sohn!“ auf ihre falschen Söhne herabsingen, so mütterlich warm, dass nicht nur die es gern glauben möchten. Francesca Lombardi-Mazzulli (als Rosane), deren samtiger Barock-Tonfall nur selten etwas zu viel Schärfe zeigt, bringt zudem einen wunderbaren Gossen-Charme auf die Bühne. Sie mimt nicht das fragile, herumgeschubste Mädchen; sie nimmt, was sie kriegen kann, und lässt nebenbei einen Geldstapel aus der Börse des greinenden Schwiegervaters mitgehen. Bloß nicht so werden wie der, ey!

Die emotionalen Untiefen der Halbbruderliebe zwischen den beiden, insgesamt bestechend exaltiert singenden Countertenören Philipp Mathmann (Zelim) und David DQ Lee (Melindo) dürfen die doppelt verschmähten Jungs immerhin einmal in einem Duett ausleben, in dem Vivaldi die Introvertiertheit des einen in ein zart pochendes Dreiermetrum kleidet, das in einem Wutausbruch des anderen förmlich zertreten wird. Hier wie andernorts beweist sich das sonst eher selten mit barockem Repertoire betraute Philharmonische Orchester Heidelberg unter der einfühlsamen und temperamentvollen Leitung von Davide Perniceni als Rückgrat einer emotional facettenreichen Partitur, deren Ausdruckspalette es in sich hat.

Dass die Szene (Bühne: Jan Freese) in einem Designerloft in den Antifarben Beige, Hellbraun und Erbsengrün spielt, ist klug kalkuliert. Es gibt zu hohe Decken, eine kühle Möblierung. Ein Luftzug weht die blassen Vorhänge wie Leichentücher herum – eine unstete Umgebung, eine Behausung der Unbehausten, die sich vormachen, darin ein Heim zu haben. Das einzige Dekorstück ist eine hässliche schwarze Vase. Ganz klar: eine Männerbude, kein Zeichen einer weiblichen Hand, keine wärmende Häuslichkeit. Das gelegentliche Herumirren der Darsteller mit Gesichtsmasken ist keine Hommage an die italienische Kosmetikindustrie, sondern der mehr als klare Hinweis: Ich weiß, was du letzten Karneval getan hast. Wer soll bei dem Durcheinander auch noch durchblicken?

Am Ende setzt die Regie (Yona Kim) konsequent einen Sarg auf die Bühne, denn zum musikalisch süffigen Happy End, wo jede(r) das eigene Schicksal wieder ganz großartig findet, haben in Schwetzingen die zwei Mütter dem nun endgültig überflüssigen, weil beerbten Papa heimlich einen Giftcocktail eingeschenkt. Das hatte Vivaldi so sicher nicht vorgesehen, er ließ die klangliche Üppigkeit der genretypischen „Lieto fine“-Idylle einer Familie, die den Karneval samt Folgen irgendwie überstanden hat, für sich stehen. Sicher war das nicht gesellschaftskritisch gemeint.

Auch deutete die Oper keinen erwünschten Machtuntergang der Feudalherren an, die es beischläferisch übertrieben hätten. Sie äußert überdies keine Kritik an Bigotterie, noch vermittelt sie gar eine düstere Vorahnung heutiger Patchwork-Familien. Nein, dies war und ist eine Oper über Männer und Frauen. Eine Defizitdiagnose für die Männer. Und eine tiefe, musikalische Verbeugung vor dem eigentlich starken Geschlecht. Nicht nur in Italien. Aber dort klingt es eben am besten.

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