Hallendes Herzeleid im Ohr
Münster – Wer durch Venedig spaziert – oder besser: sich in der Gondel träumend treiben lässt, dem stehen Mund und Augen offen. Pracht und Zauber der Lagunenstadt sind unzerstörbar. Aber auch mit den Ohren kann man Venedig durchstreifen, sogar von Münster aus. Das erlebte ein hingerissenes Publikum am Samstagabend in der Dominikanerkirche, als Philipp Mathmanns Stimme hell und strahlend von den Mauern widerhallte. Kantaten und Concerti von Monteverdi und Co. zauberten fein verzierte Gemälde vors innere Auge. Venedig als musikalisches Zentrum warf seinen Schatten mühelos von der Renaissance ins Heute.
Der Kirchenhall war so ausufernd wie gewohnt, verlieh der Musik aber ein süffiges Passepartout, das stimmig wirkte. Und hallen die verwinkelten Kanäle und Gassen nicht auch? Philipp Mathmanns Sopran (bzw. Countertenor) ertönte schlank, hell timbriert und war vom rechten Zuschnitt, um alles Herzeleid über die schmachtenden Koloraturen zu tragen. Dabei stets geschmackvoll, ohne zu übertreiben. Ein Erlebnis war etwa die Kantate „Scrivete, occhi dolenti“ von Giacomo Carissimi (1605-1674). „Schreibt, schmerzende Augen unseren Kummer mit Tinte aus Tränen auf das Blatt meines Gesichts.” Empfindsamer wurde selten geliebt und gelitten
Nicht minder empfindsam die Begleitung des Münsteraners: Natalie Pfeiffer aus Berlin (Blockflöte und Cembalo) und die Frankfurterin Vanessa Heinisch an Laute und Theorbe (Basslaute), teils mit kniffliger Stimmung. Die Musikerinnen meisterten die Instrumentalstücke schön und souverän.
Als die Staatsmacht Venedigs schon im Schwinden war, kam die Musik erst voll zur Blüte. Nicht nur Monteverdi oder später Vivaldi prägten den Geschmack – auch römische Berühmtheiten wie Frescobaldi spielten Gastkonzerte (und Natalie Pfeiffer seine Canzona Terza für Solo-Cembalo). Der Wahlengländer Johann Christoph Pepusch war ebenfalls im italienischen Stil zuhause. „When love´s soft passion had usurp´d my breast“ Der Gestus der Musik war sich oft ähnlich, aber wie bei den Bildnissen jener Zeit sind es die Details, die diversen Ausformungen des Zierrats, die faszinieren. Wenn man nur genau hinhört…
Westfälische Nachrichten, Arndt Zinkant – 05.03.2012