Der Liebeszauber von Venedig
Konzert: Countertenor Philipp Mathmann entfesselt große Gefühle
Münster. Nur zwei Dinge haben die Jahrhunderte fast unbeschadet überstanden: die Liebe und Venedig. Kein Wunder, beide eng umschlungen durch die Kunstgeschichte flanieren zu sehen: Casanova entfesselte hier spektakuläre Affären, Thomas Mann schickte einen schönen Knaben auf den Laufsteg der Weltliteratur. Claudio Monteverdi, Kapellmeister am Markusdom, komponierte die erste Oper der Musikgeschichte: „L’Orfeo“. Der münstersche Countertenor Philipp Mathmann ähnelte dem Helden aus der griechischen Sage, den edle Töne von Liebesfreud und Liebesleid über alle Höhen und Tiefen trugen.
Das Konzert in der Dominikanerkirche am Samstag lud zu einem „Spaziergang durch die Gassen Venedigs“ mit Mathmann, der Lautinistin Vanessa Heinisch und der Cembalistin Natalie Pfeiffer. Sie frönten dabei ausgiebig den Wonnen von Schmachten, Schmerzen und Schluchzern.
Es hätte schöner nicht beginnen können als mit Monteverdis Motette „Jubilet tota civitas“, deren heikles Verzierungsgeflecht Anlass zu anmutigster Verstrickung bietet. Mathmann sang mit leuchtender Verve, ohne vom Überschwang überwältigt der Fiorituren (Verzierungen) zu werden. Der üppige Kirchenhall ließ im selbstlosen Jubel der Musik die vibrierende Helligkeit des Countertenors umso strahlender erscheinen. Die von Wehmut und Ironie getränkten Zeilen in Giacomo Carissimis Kantate „Scrivete, occhi dolenti“ lenkte Mathmann mit weit gespannten Legatobögen ins Zentrum seufzender Liebesqual. Jugendliche Leidenschaft, Selbstmitleid und Einsamkeitspathos umschlangen empfindsame Zeilen wie Kletterrosen.
Aus den lyrischen Sequenzen der Sonate g-Moll für Laute und Cembalo von Antonio Vivaldi filterten Heinisch und Pfeiffer Feinsinn und Intimität. „L’Eraclito Amoroso“ der Venezianerin Barbara Strozzi zelebriert das genussvolle Klagen eines betrogenen Liebhabers. Von den beiden Musikerinnen einfühlsam begleitet, bewies Mathmann hier wie in Strozzis „Giusta negativa“ Leichtigkeit des Stimmansatzes und makellose Artikulation.
Johann Christoph Pepuschs Kantate „When love’s soft passion“ mobilisiert den inneren Widerstand der Selbstachtung vor vergeblicher Liebe, der Countertenor demonstriert vokales Selbstbewusstsein und in frostigen Kadenzhöhen den dramatischen Einfluss wankelmütiger Liebesqualen. Ovationen für ausgezeichnete Musikerinnnen und einen strahlenden Helden.
Münstersche Zeitung, Günter Moseler – 05.03.2012